Mit dem Verkehrsentwicklungsplan wurde die Verkehrssituation in der Gemeinde Ganderkesee dokumentiert und soll weiter entwickelt werden. Nach einer ausführlichen Bestandsdokumentation enthält der Maßnahmenkatalog des Ingenieurbüros Dr. Schwerdhelm & Tjardes GbR * Nordfrost-Ring 21 * 26419 Schortens 16 Handlungsempfehlungen für größere und kleinere Maßnahmen, die zur Verbesserung des Verkehrsablaufs und insbesondere der Verkehrssicherheit beitragen sollen.
Auch zur Barrierefreiheit erfolgen Handlungsempfehlungen hinsichtlich der unterschiedlichen Ansprüche der Bevölkerung mit und ohne Teilhabeeinschränkungen:
– zur Straßenraumgestaltung,
– zu baulichen Anlagen sowie
– zur Informationsbeschaffung und Kommunikation.
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 hat sich Deutschland verpflichtet, Menschen mit Behinderung die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Entsprechend gilt Teil 3 der DIN 18040 für Barrierefreies Bauen im Öffentlichen Verkehrs- und Freiraum.
Die Norm beinhaltet Grundregeln wie Maße für benötigte Verkehrsräume mobilitätsbehinderter Menschen, Grundanforderungen zur Information und Orientierung wie das Zwei-Sinne-Prinzip, Anforderungen an Oberflächen, Mobiliar im Außenraum (Bänke, Abfallbehälter, etc.) oder Wegeketten (Verkettung von Aktionen z.B. Haushalt-Arbeitsstätte-Einkauf- Haushalt).
Der ASG weist darauf hin, dass die Gestaltung von Öffentlichen Verkehrs- und Freiräumen nicht nur Menschen mit Behinderung zugute kommt, sondern eine breite Öffentlichkeit davon profitieren wird: Kinder als Fußgänger oder Fahrradfahrlernende, Senioren mit zunehmenden Einschränkungen, Familien mit Kinderwagen, Radfahrer und Fußgänger im Allgemeinen. Allen gemein ist der uneingeschränkte Wunsch nach Teilhabe und Sicherheit in einem Verkehrsablauf mit zunehmender KFZ- und LKW – Orientierung. Dazu benötigen sie:
– sichere Geh- und Radwege
– Lichtsignalanlagen sowie Fußwege und Haltestellen des ÖPNV hinsichtlich der Barrierefreiheit
– Blindenleitsysteme (taktile und akustische Elemente an Signalanlagen, Bodenindikatoren auf Fußwegen, an Haltestellen und Überwegungen)
– straßenbauliche Anlagen (Absenkung des Bordsteins an Überwegungen für Gehbehinderte, erhöhte Einstiegsmöglichkeiten an Bushaltestellen).
Diese Ergebnisse dokumentiert auch das Ingenieurbüro in seinem Bericht und wird in den Anlagen 3.1 und 3.2 dargestellt.
Bereits in der Vergangenheit hatte die Gemeinde Ganderkesee einen barrierefreie Verkehrsraum im Blick und hat jüngst u.a. in der Stedinger Straße in Bookholzberg im Zuge der Sanierungsmaßnahme beispielhafte Barrierefreiheit umgesetzt:
- Behindertenparkplatz am Fahrstuhl (noch zu verbessern)
- Fahrstuhl am Bahnhof Bookholzberg (Deutsche Bundesbahn)
- drei barrierefreie Querungsstellen für Menschen mit Sehbehinderung und Rollstuhlfahrer in der Stedinger Straße in Bookholzberg mit unterschiedlich abgesenkten Bürgersteigen.
im Ortskern:
- mind. eine Lichtsignalanlagen mit 2-Sinne-Prinzip (Sehen und Hören oder Sehen und Fühlen).
- Ausbau der Rathausstraße / Orts- und Einkaufszentrum rollstuhlgerecht und teilweise mit Blindenleitsystem
Allerdings gibt es weiterhin Handlungsbedarf für die Fortsetzung einer barrierrefreien Vekehrsentwicklung in Ganderkesee:
– Größtenteils befindet sich das Rad- und Fußwegenetz nicht in einem barrierefreien Zustand. Bürgersteige sind zu schmal, gemeinsame Geh- und Radwege erhöhen die Unfallgefahr bei gemeinsamer Nutzung von Rad- und Fußgängern durch fehlende Akzeptanz. Auch der Zustand der Fußwege ist teilweise für Rollstuhlfahrer nicht nutzbar:
– schräge, schiefe und aufgeplatzte Gehwegplatten birgen Stoß-und Stolperfallen, erschweren das eigenhändige Vorwärtskommen im Rollstuhl oder birgen Stürze oder gar ein Herausfallen des Rollstuhlfahrers aus dem Rollstuhl.
– Berücksichtigung eines Flächen- und Raumbedarfs für mobilitätseingeschränkte Menschen:
Fußgängerflächen müssen barrierefrei nutzbar und so bemessen sein, dass für die VerkehrsteilnehmerInnen mit dem größten Flächenbedarf die gleichberechtigte Teilhabe gesichert ist. Das sind i.d.R. RollstuhlfahreInnen und Menschen, die auf Gehhilfen oder Langstöcke (und auch Kinderwagen) angewiesen sind. Zu berücksichtigen sind Greifhöhe, Greiftiefe und Unterfahrbarkeit von Bedienelementen, sowie eine ausreichende lichte Höhe von 2,25 m.
Als Richtschnur gilt folgender Mindestplatzbedarf von Menschen in Rollstühlen:
- Breite zur Begegnung: ≥1,80 m
- für den Richtungswechsel: ≥1,50 x 1,50 m
- Breite in Durchgängen: ≥0,90 m
·Rollstuhl – Platzbedarf | |||
Länge [mm] |
Breite [mm] |
Höhe [mm] |
|
Faltrollstuhl Bewegungsfläche 150×150 cm |
1100 bis 1200 |
650-720* gefaltet 250-320 |
920 850 bis 1270 |
Standardrollstuhl mit Helfer | 1750 | 650-720* | 920 850 bis 1270 |
Elektrorollstuhl Bewegungsfläche 160×160 cm |
1200 | 720 | bis 1270 |
Straßenrollstuhl | bis 1400 | 770 | bis 1350 |
(Quelle: https://nullbarriere.de/rollstuhl.htm)
Zuschläge sind zu beachten: Zur Fahrbahn sind 50 (30) cm und zur Hauswand 20 cm Sicherheitsabstand einzuhalten. Zwischen niveaugleichen, getrennten Fußwegen und Radwegen ist ein Trennstreifen von mindestens 30 cm Breite vorzusehen, der Bestandteil des Gehweges, aber nicht der nutzbaren Gehwegbreite ist.
– Im Ortskern der Gemeinde sollten weitere Signalanlagen über akustische und / oder taktile Elemente nachgerüstet werden und das teilweise bereits bestehende Blindenleitsystem fortgeführt werden z.B. ab Bahnhof in das Orts- und Geschäftszentrum für Bahnnutzer.
– der Einzug von Querungsstellen stellt eine erfolgreiche Alternative dar, um weite Wege zu Lichtsignalanlagen zu überbrücken, dies ist vor allem für Menschen mit Gehbehinderungen eine große Hilfe. An Querungsstellen sind die Bordsteine abzusenken. Zu achten ist hier auf eine barrierefreie Gestaltung mit und ohne Bordvorstand („doppelte Querungsstelle“) und entsprechende Aufmerksamkeitsfelder /-streifen. Für Sehbehinderte muss ein mit mind. 6 cm hoher Bordvorstand auf der gesamten Breite der Querung mit dem Langstock ertastet werden können. Entgegensetzt dazu bedürfen Gehbehinderte mit dem Rollator oder Rollstuhl hingegen einen Bordvorstand von 0 cm, da er sonst von den Betroffenen nicht überwunden werden kann oder zumindest Schwierigkeiten bereitet. Die Nullabsenkungen sind entsprechend mit taktilen Sperrfeldern für Sehbehinderte zu sichern.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie umfangreich und sensibel eine barrierefreie Verkehrsplanung vorzunehmen ist.
Für den Bereich Geh- und Radwegenetz sind weiterhin hochfrequentierte Verkehrswege im Ortskern und verkehrsruhige Ortsbereiche durchaus zu differenzieren. Der ASG sieht im Ortskern weiterhin Handlungsbedarf:
– schmale Bürgersteige müssen erweitert werden: Wenn am Tag der Müllabfuhr die Tonnen
zwecks Leerung dort stehen, Fußgänger und Radfahrer auf die Straße ausweichen oder geraten in Bedrängnis (z.B. Am Ring, Nordweg). Rollstuhlfahrer können nicht auf die Fahrbahn ausweichen.
– Bürgersteige befinden sich in einem schlechten Zustand (abgesackte und kaputte Gehwegplatten im Brüninger Weg) für Menschen mit Rollatoren echte Stolperfallen (gesehen im Brüninger Weg, Grüppenbührener Straße).
Der Entwurf des VEP weist auf einen Handlungsbedarf hin und ist auch aus der Sicht von Menschen mit Behinderung / Einschränkungen durchaus zu vertiefen. Nicht ohne Grund verweist das Ingenieurbüro auf die wichtige Zusammenarbeit mit einem Behindertenbeirat, in Ganderkesee vertreten durch den ASG, hin.
„Um eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse erreichen zu können, ist es notwendig, ein integriertes Verkehrsnetz zu erstellen. In diesem sind die Belange der einzelnen Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Radfahrer, motorisierter Individualverkehr und öffentlicher Verkehr) unbedingt zu vernetzen.“
Der ASG e.V. setzt sich für die Belange von Menschen mit Behinderung ein und steht auch weiterhin für Gespräche und Planungen gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Bretzke